Ständige Erreichbarkeit im Job: Muss das sein?

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Vielleicht haben Sie früher in einem Betrieb gearbeitet, wo Kollegen aus dem Urlaub zurückgerufen wurden, weil ein Großauftrag bearbeitet werden musste. Ist das erlaubt? Muss ein Arbeitnehmer auch nach Feierabend erreichbar sein, um Fragen zu einem Kunden zu beantworten?

Das Thema Erreichbarkeit hat dank der medialen Möglichkeiten heutiger Tage neue Bedeutung erhalten. Wo wird die Grenze zwischen Arbeit und Feierabend gezogen? Ständige Erreichbarkeit wird vor allem in Berufen erwartet, in denen man Bereitschaftsdienst hat. Rufbereitschaft bedeutet, dass man nur so lange seine Freizeit genießen kann, bis ein Anruf erfolgt. In diesem Moment beginnt die Arbeitszeit – für Notdienste in Bestattungsinstituten, für Notärzte in Bereitschaft, für Klempner- oder Fahrstuhl-Notdienste.

Müssen Arbeitnehmer ständig erreichbar sein?

Im Prinzip nein. Die Arbeitszeit ist vertraglich und gesetzlich geregelt. Im Normalfall wird die Freizeit strikt von der Arbeitszeit getrennt. Es gibt jedoch Fälle, wo ständige Erreichbarkeit Sinn macht – zum Beispiel bei Rufbereitschaft oder einem Klinik-Notdienst über das Wochenende. In solchen Fällen darf die Freizeit unterbrochen werden. Der Urlaub muss aber nicht unterbrochen werden.

Genau genommen, unterbricht bei telefonischen Bereitschaftsdiensten oder Rufbereitschaften nicht der Notfall die Freizeit, sondern die Arbeitszeit darf zum Teil als Freizeit gestaltet werden. Der Arbeitnehmer muss bei Bereitschaftsdiensten am Wochenende schnelle Erreichbarkeit garantieren.

Wann ist eine ständige Erreichbarkeit gerechtfertigt?

In Jobs, wo die Arbeitszeit klar geregelt ist, ist ein Arbeitnehmer nicht verpflichtet, seinen Urlaub zu unterbrechen – es sei denn, das Unternehmen geriete sonst in eine wirtschaftliche Krise. So können Unternehmen beispielsweise mehrere Arbeitnehmer aus dem Urlaub zurückrufen, wenn ein Terminauftrag anders nicht zu bewältigen ist. Es besteht für den Arbeitnehmer jedoch keine gesetzliche Verpflichtung, den Urlaub zu unterbrechen.

Wenn eine neue Kollegin nach Feierabend oder während einer Krankheit ihrer Kollegin einen Rat benötigt, gebietet es schon die Kollegialität, Erreichbarkeit zu signalisieren. Sie dürfte einen anderen Arbeitnehmer also nach Feierabend anrufen, ihm Mails oder SMS schreiben. Arbeitet ein Arbeitnehmer im Homeoffice, ist seine Erreichbarkeit während der Arbeitszeit eine klare Sache. Er muss sich an- und abmelden, wenn er in die Pause geht oder einen Termin wahrnimmt.

Was sagt das Gesetz?

Kein Gesetz verpflichtet Arbeitnehmer, ständig erreichbar zu sein. Falls ein Arbeitgeber dennoch ständige Bereitschaft erwartet, ist das nicht hinnehmbar. Selbst Vorgesetzte und andere Entscheidungsträger haben ein Anrecht auf Feierabend, Freizeit und ungestörten Urlaub. In der Regel sind sie aber im Notfall erreichbar. Die Frage der Erreichbarkeit kann schließlich über das Weiterbestehen des Unternehmens entscheiden.

Kein Arbeitnehmer muss von Gesetzes wegen rund um die Uhr durch Erreichbarkeit glänzen. Er muss nach Feierabend weder Mails von Kunden lesen noch Anrufe von Vorgesetzten annehmen. In der Regel tut man es aber trotzdem, weil Mails und Anrufe vom Arbeitgeber Dringlichkeit signalisieren. In diesem Fall sollte man damit rechnen, auch nach Feierabend noch Arbeit erledigen zu müssen.

Juristisch unwirksam sind Klauseln im Arbeitsvertrag, die Arbeitnehmer zu ständiger Erreichbarkeit verpflichten. Rufbereitschaften oder Nachtdienste werden klar geregelt. Sie werden turnusmäßig unter den Mitarbeitern verteilt.

Zu welchen Problemen kann ständige Erreichbarkeit führen?

Seit die modernen Medien eine Erreichbarkeit rund um die Uhr ermöglichen, kann die Arbeitszeit fast beliebig ausgedehnt werden. Mancher Arbeitnehmer nimmt nicht erledigte Arbeit mit nach Hause. Er verkürzt so seine Freizeit. Mancher schreibt noch nach Dienstschluss Mails, um einem noch nicht eingearbeiteten Kollegen Anweisungen zu geben.

Gegen Arbeit im Homeoffice ist prinzipiell nichts zu sagen. Gegen mangelnden Freizeitausgleich und reduzierte Erholungszeiten aber schon. Ständige Erreichbarkeit erhöht den Stresspegel. Der Arbeitnehmer gerät unter Druck. Er fühlt sich getrieben und verschiebt seine eigenen Belastungsgrenzen. Wenn jemand auch in der Freizeit oder im Urlaub mit Mails von Kunden überflutet wird, ist ein Burn-out nicht mehr weit.

Deshalb sollten private und firmeneigene Mailaccounts strikt getrennt werden. Für alles, was als Arbeitszeit bewertet werden muss, ist ein Ausgleich durch Freizeit an anderer Stelle oder durch eine geldwerte Entschädigung vorzunehmen. Erst wenn die Arbeit nach dem Urlaub wieder aufgenommen wird, werden die mittlerweile eingetroffenen Mails gelesen. In der Regel hat ein anderer Arbeitnehmer den in Urlaub gegangenen Mitarbeiter vertreten.

Die angefallene Arbeit sollte im Wesentlichen erledigt sein. Alle wichtigen Mails sollten dem Mitarbeiter aber zur Kenntnisnahme vorliegen. Erfordert das Lesen der arbeitsbezogenen Mails eine Stunde seiner Arbeitszeit, ist das in Ordnung. Denn auch das Lesen und Abarbeiten wichtiger Mails ist Arbeit.

Wie können Sie eine ständige Erreichbarkeit vermeiden?

Wer ein Diensthandy hat, muss trotzdem nicht durch ständige Erreichbarkeit glänzen. Nicht einmal eine Teamleiterin muss rund um die Uhr erreichbar sein. Das Diensthandy darf also nachts und am Wochenende ausgeschaltet werden. Nach der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit und im Urlaub ruht die Arbeit.

Wer regelmäßig auch am Wochenende arbeiten muss, muss dafür einen Freizeitausgleich in der Woche erhalten. Die Arbeit wird dann durch Kollegen erledigt. Die tägliche Arbeitszeit darf ausnahmsweise einmal verlängert werden, wenn es notwendig erscheint. Auch dafür muss aber ein Ausgleich durch Freizeit gewährt werden. Dieses eherne Prinzip war während der Corona-Pandemie außer Kraft.

Es mangelte vielen Unternehmen an arbeitsfähigen Mitarbeitern. In dieser Notlage war die ständige Erreichbarkeit der arbeitsfähigen Mitarbeiter wichtig. Doch auch die einsatzbereiten Mitarbeiter in Kliniken und Praxen mussten sich nach Feierabend ausreichend erholen können. Selbst wenn Not am Mann ist, verpflichtet das niemanden, bis zum Umfallen zu arbeiten.